Begleiten Sie uns auf einen kleinen Rundgang durch die jüdische Geschichte der Stadt St. Gallen:
1268 Erstmals wird ein Jude namens Simon in St. Gallen erwähnt.
1292 Zwei Häuser der „Judengass“, später „Hinter der Brotlaube“, heute „Hinterlauben, werden von Juden bewohnt.
1349 Bei der Judenverfolgung während der Pestzeit werden die Juden der Stadt St. Gallen verbrannt.
1377 Es wohnen wieder Juden in der Stadt.
1380 Die ersten Juden, ein Geschwisterpaar, erhalten das Stadtbürgerrecht.
1411 Weitere jüdische Familien ziehen in die Spisergasse und an das Spisertor.
1415 Wegen der vielen Berufsverbote, denen die jüdischen Bürger unterliegen, leben sie überwiegend vom Geldverleih. Ob es im Mittelalter einen Betsaal oder eine Synagoge gab, ist anzunehmen, jedoch in den Quellen nicht verzeichnet.
1470 Wiederum werden Juden aus der Stadt weggewiesen.
1527 Die jüdische Bevölkerung nimmt geringfügig zu. Die hier verstorbenen Juden wurden vermutlich in Überlingen beigesetzt.
1756 Juden dürfen auf den Jahrmärkten der Stadt wieder handeln, sind aber in den folgenden Jahrzehnten strengsten Bestimmungen unterworfen.
1834 20 jüdische Handelsleute aus Hohenems kommen regelmässig in die Stadt.
1850 Die Stadtbehörde gewährt den hier lebenden Juden das Wohnrecht als Wochenaufenthalter– wenn sie darum ersuchen. Das tun viele. Darunter sind Juden aus dem benachbarten Hohenems, dem süddeutschen Raum, aus Frankfurt und Berlin.
1852 63 jüdische Einwohner werden gezählt.
1860 Nun sind es 107 jüdische Einwohner.
1863 Der Kanton St. Gallen gewährt den Juden die volle Niederlassungsfreiheit. Nun lassen alle Wochenaufenthalter ihre Familien nachziehen. Die „Israelitische Kultusgemeinde” in St. Gallen wird offiziell gegründet.
1866 Der erste Betsaal entsteht im Hinterhof des Hauses „Zum Stein“ am Bohl.
Die Gemeinde hat einen eigenen Rabbiner: Dr. Hermann Engelbert. Seine Nachfolger werden 1900
Dr. Emil Schlesinger, 1943 Dr. Lothar Rothschild, 1968 Hermann I. Schmelzer, 2015 Dr. Tovia Ben Chorin und 2022 Dr. Shlomo Tikochinski.
1867 Der jüdische Friedhof im Hagenbuch wird angelegt.
1869 Die erste Beerdigung und die damit verbundene Einweihungsfeier finden statt.
1881 Die neue Synagoge an der Frongartenstrasse, erbaut durch die Architekten Chiodera und Tschudy sowie Baumeister Ludwig wird eingeweiht.
1888 Die Zahl der jüdischen Einwohner beträgt 399. Auf der Flucht vor Pogromen wandern zunehmend osteuropäische Juden ein.
1913 Der jüdische Friedhof ist bereits voll belegt. Ein weiterer wird als Teil des Ostfriedhofs an der Kesselhalden neu angelegt.
1915 Rabbi Avraham Yitzhak HaCohen Kook, Rabbiner von Jaffa, lebt kriegsbedingt in St. Gallen. Mit seiner Frau und seinem Sohn, auf Einladung von Avraham Kimchi und Moshe Weisbard.
1917 Die Gemeinde Adass Jisroel wird gegründet; sie entsteht als Zusammenschluss der osteuropäischen Juden.
1919 Die Synagoge der Gemeinde Adass Jisroel an der Kappellenstrasse wird eingeweiht. Daran angeschlossen ist auch eine Mikwa. Familie Sternbuch lässt sich in St. Gallen nieder und leitet dieses Gemeinde.
1920 Nachdem durch den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie weitere Juden aus Osteuropa zuwandern, wächst die Adass Jisroel auf ca. 550 Mitglieder in 105 Haushaltungen an.
Insgesamt zählt St. Gallen bereits 1017 jüdische Einwohner.
Zur deutsch-jüdischen „Israelitischen Kultusgemeinde“ gehören etwa 300 Haushalte.
Etwa 50 Schülerinnen und Schüler erhalten Religionsunterricht. Es gibt u.a. einen Frauenverein, einen
Wohltätigkeitsverein (Chewra Kadischa) und den „Verein Erholung“.
1939-44 St. Gallen ist ein Zentrum zur Vorbereitung jüdischer Flüchtlingskinder auf die Einwanderung nach Palästina / Erez Jisroel. Der Zeitraum der Rettungstätigkeit von Frau Racha Sternbuch zusammen mit Paul Ernst Grüninger.
1945 Ungarische Juden aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen und 1200 Überlebende aus Theresienstadt erhalten in St. Gallen humanitäre Erstversorgung.
1952 Die beiden Gemeinden „Adass Jisroel“ und „Israelitische Kultusgemeinde“ werden zusammengelegt.
1968 Das Rabbinerehepaar Rita und Hermann Schmelzer kommt nach St. Gallen.
1993 Die Gemeinde wird vom Grossen Rat des Kantons St. Gallen als öffentlich-rechtliche
Körperschaft anerkannt und heisst neu Jüdische Gemeinde St. Gallen.
2005/06 Die Synagoge wird restauriert und feierlich eingeweiht. Als einzige im Originalzustand
erhaltene Synagoge im Bodenseeraum findet sie grosse Beachtung.
2013 Die Jüdische Gemeinde St. Gallen feiert ihr 150-jähriges Bestehen.
2015 Dr. Tovia Ben-Chorin übernimmt das Rabbineramt der Gemeinde.
2022 Der Hinschied von Rabbiner Ben-Chorin löst vielfältiges Bedauern aus. Rabbiner
Shlomo Tikotchinski ist sein Nachfolger.
2023 Durchführung eines Drei-tägigen Jüdischen und Interreligiösen Festivals in St. Gallen.
Literaturnachweis:
Wandel und Beständigkeit - Jüdische Gemeinde St, Gallen 1863-2013
Hirschfeld, Strauss, Malinsky - Jüdisches Leben in St. Gallen 1803 bis 1953